ARCHIV FÜR AUTOBAHN- UND STRASSENGESCHICHTE

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Die Baraber

"Ihr seid Weiße und sprecht Deutsch? Wir dachten, da kommen bessere Araber ..."

Diese Worte des Erstaunens aus dem Mund der einheimischen Zuschauer begleiteten manchmal die offizielle Begrüßung der Umsiedler bei ihrer Ankunft in Deutschland im Herbst 1940.

Es fielen später noch andere, weniger freundliche Worte, falls es bei längerem Lageraufenthalt zu Konflikten mit dem reichsdeutschen Personal kam.

Neben den gängigen deutschen Schimpfworten kennt die Literatur auch neuere Begnffe wie „Balkanesen"1 oder "Balkanzigeuner"2 als Bezeichnung für die lästig gewordenen Lagerinsassen aus Südosteuropa.

Vielleicht hat der eine oder andere aus den Jahren nach 1940 noch Worte wie "Baraber" oder "bessere Baraber" in Erinnerung. Es klingt täuschend ähnlich wie „Bessarabier" oder „Bessaraber". Schriftlich festgehalten hat es keiner.

Das Wort „Baraber" ist heute nahezu unbekannt. In den gängigen Nachschlagewerken sucht man danach vergebens.

In Süddeutschland und in Österreich bezeichnet man damit Wanderarbeiter auf Großbaustellen. Von der einheimischen Bevölkerung wurden die „Baraber" nicht immer gerne gesehen.

Die Verbreitung und der Gebrauch des Wortes lassen sich aus zwei Literaturquellen erschließen, die aus den dreißiger Jahren stammen und mit der Umsiedlung in keinem Zusammenhang stehen.

"Die Baraber vom Walchensee"3 lautet der Titel des 1931 erschienenen Buches von Josef Rambeck. Es handelt von Erlebnissen beim Bau des Walchenseekraftwerks, angefangen vom Baubeginn 1921 bis einige Jahre nach der Fertigstellung 1925. Geschildert werden die Arbeitsbedingungen und die Lebensverhältnisse der dort beschäftigten Arbeiter vor dem geschichtlichen Hintergrund einer Notzeit, geprägt von den Folgen des Ersten Weltkriegs, den innenpolitischen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik, der Inflation und der Arbeitslosigkeit.

Weitere Hinweise zum Wort "Baraber" fanden sich eher zufällig auf der Suche nach Umsiedlerlagern4 im Bestand "OBR Nürnberg" Staatsarchivs Nürnberg5.

Im August 1935 wandte sich der Deutsche Sprachverein, Zweig München, an den Generalinspektor für das Deutsche Straßenwesen mit der Bitte, auf den Baustellen der Reichsautobahnen die Verbreitung und mögliche Nebenbedeutungen dieses Wortes zu erfassen.

Einige interessante Antworten aus dem Gebiet der OBK Nürnberg sind uns erhalten geblieben.

Wer wurde nun als Baraber bezeichnet?

Von der Bauabteilung Bayreuth6 wurde dazu folgendes berichtet: Mit "Baraber" bezeichnete man in der Vorkriegszeit7 ausgesprochene Tiefbauarbeiter, die von einer Baustelle zur anderen wanderten. Das 'Umzugsgut' des Barabers bestand bei Ledigen aus Schaufel, Pickel und Rupfensack, in dem er seine Habseligkeiten verstaute. Der verheiratete "Baraber" zog in einem Planwagen mit Kind und Kegel um, lagerte und hauste in verlassenen Kies- und Sandgruben und 'requisierte' im übrigen. Der Baraber war ein zäher, leistungsfähiger Arbeiter bei Eisenbahn-, Straßen- und Wasserbauten. 'Baraber' im wahrsten Sinne des Wortes war in früheren Zeiten beim Eisenbahnbau der Italiener, der als anspruchsloser, fleißiger und brauchbarer Erdarbeiter, Mineur und Bruchsteinmaurer überall anzutreffen war, hauptsächlich in Tirol und Südbayern. Die ausgesprochene Nebenbedeutung 'Strolch' oder 'Landstreicher' hat der Ausdruck 'Baraber' nicht.

Auch das Zeitwort 'barabern' ist hier nicht gebräuchlich. Früher bezeichnete man die Tätigkeit und die nomadenhafte Lebensweise beim Erdbau in manchen Gegenden von Südbayern mit 'barabern' Ein Grund des Herumziehens der sogenannten 'Baraber' war einesteils die Flucht vor der Steuer (Rentamt), andernteils die Kunde von irgend einem größeren Erdbau.

Zur Charakterisierung des 'Barabers' dürfte nachstehender unvollständiger Liedtext dienen:

Dem Baraber sein Grab:
Ja wer wird mit meiner Leiche gehen?
Ja wer wird mit meiner Leiche gehen?
Die Gläser, das Geschirr, der Wein und das Bier.
Frau Wirtin geht auch noch mit mir.

Wo ist dem Baraber sein Grab?
Wo ist dem Baraber sein Grab?
Ja zwischen zwei Faß
Ist alleweil schön naß.
Des is an Baraber sein Grab.

Rambeck8 betonte zusätzlich das kritische Verhältnis zu den Einheimischen im Baugebiet und erweitert den Begriff auf einen größeren Personenkreis.

Er nannte sie "Verdienst suchende, in ihrem Heimatort überflüssige Menschen", solche, "die ihren Handwerksberuf aufgegeben hatten und je nach Gelegenheit und Jahreszeit abwechseln beim Tiefbau, beim Hopfenzupfen, bei der Kartoffel-, Wein- oder Obsternte arbeiten, die ferner das Sparen für eine Untugend hielten, viel Alkohol und Schupftabak konsumierten, nur das besaßen, was sie am Leibe trugen und meistens in Heustädeln nächtigten".

Zur Herkunft des Wortes wurde angenommen, dass es sich als "internationale Benennung" auf den Baustellen von selbst in dem Sprachgewirr gebildet habe, als früher Italiener, Slowaken, Polen usw. zusammen mit Deutschen gearbeitet hatten.

Andere Deutungsmöglichkeiten, wie die Herkunft vom "Barfüßler", von "Barrabas" aus dem Evangelium oder "Barabi", dem unten unbekleideten Mann, wurden von Rambeck verworfen.

Die Verbreitung des Wortes im Herbst 1935 reichte bis in den Raum nördlich von Bayreuth. In Thüringen war der Begriff unbekannt. Das Wort wurden von den meisten ortsansässigen Arbeitern abgelehnt und nicht angewandt. Als herabwürdigend galt es auf einigen Baustellen um Münchberg und Hilpoltstein. Vor allem im Wirtshaus soll es als Schimpfwort gebräuchlich gewesen sein9.

Bei der Umfrage auf den Baustellen kamen noch weitere Begriffe für die Wanderarbeiter ans Licht.

So kannte man in Querenbach (BAK Münchberg)10 noch das Wort "Waloschen", eine Bezeichnung der südbayerische Arbeiter für die aus dem Spessart stammenden Kollegen. Es soll abgeleitet sein von dem Ortsnamen Waldaschaff.

Im Antwortschreiben aus Leupoldsgrün (BAK Münchberg)11 wurde der Begriff "Monarch" genannt. Es soll die norddeutsche Variante der "Barabers" sein. Arbeiter, die sich selbst als "Baraber" bezeichneten, nannten ihren Schachtmeister "Baraber-Capo".

Über ihre niedrige Position am Rand der Gesellschaft machten sich die "Baraber vom Walchensee" keine Illussionen und blickten düster in die Zukunft als sie ihre Arbeitsstelle12 wieder verlassen mussten: "... jede Zeit muss ihre Baudenkmäler haben. Um sie zu schaffen, braucht man Baraber, besitzlose, überflüssige Menschen, die Aschenbrödel, die Dreckschaufler der Gesellschaft. Es müssen Menschen vorhanden sein, die um billiges Geld schwer schuften, in verwanzten Baracken schlafen, an schmierigen Tischen minderwertiges Kantinenessen hinunterwürgen und sich zur Zerstreuung mit einem gemeinen Bierrausch begnügen. Die Gesellschaft muss also Lastesel haben, je mehr desto billiger".

Fröhlicher sind die Bahnbauer, solange sie noch Arbeit haben und können:

Baraberlied13
 
Aber lustig sind die Baraberbuam.
 
Wir Barberbuam wir schieben auch gern
Ja, ja, ja. Frisch auf zur Eisenbahn!
Wir schieben die Rollwagen hin und her
Und denken wenn es nur Zahltag wär.
Ja, ja, ja. Frisch auf zur Eisenbahn!
 
Wir Barberbuam wir bohren auch gern
Ja, ja, ja. Frisch auf zur Eisenbahn!
Wir bohren die Löcher groß und klein
Und zuletzt kommt noch der Ladstock hinein.
Ja, ja, ja. Frisch auf zur Eisenbahn!
 
Die Barberbuam, die beten auch gern
Ja, ja, ja. Frisch auf zur Eisenbahn!
Sie gehen an der Kirche vorbei
Als wenn der Teufel drinnen sei,
Ja, ja, ja. Frisch auf zur Eisenbahn!
 
Barberbuam die lieben auch gern
Ja, ja, ja. Frisch auf zur Eisenbahn!
Sie lieben die Mädchen groß und klein
Und jeder g'scherte Teifl will a Baraberbua sein.
Ja, ja, ja. Frisch auf zur Eisenbahn!
 
Auf der Autobahn ist lustig
Auf der Autobahn hat mich gfreut
Weil der Frosch14 so schön schnogelt
Und der Bauführer so schreit!

Das Wort "Baraber" hat der Verfasser dieser Zeilen nur sehr selten gehört, merkwürdigerweise zuerst in der Nähe von Neufürstenhütte. Mitte der siebziger jahre

Die Autobahn Nürnberg - Heilbronn war noch nicht durchgängig ausgebaut. Die Erkenntnisse zu den "Barabern" sollten den Lesern des Heimatkalenders trotzdem nicht vorenthalten werden.

1 Ute Schmidt: Die Deutschen aus Bessarabien. Eine Minderheit aus Südosteuropa (1814 bis heute). Köln-Weimar-Wien 2003, S. 364.

2 Dirk Jachomowski: Die Umsiedlung der Bessarabien-, Bukowina- und Dobrudschadeutschen. Von der Volksgruppe in Rumänien zur "Siedlungsbrücke" an der Reichsgrenze. München 1984 (Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission 32), S. 133. 3 Josef Rambeck: Die Baraber vom Walchensee. Berlin 1931. 4 Die damals unter dem Namen "Nibelungenlinie" projektierte Reichsautobahn Köln - Frankfurt - Passau kreuzt die Berlin - Münchener Autobahn östlich von Nürnberg. Diese Autobahnstrecke wurde 1937/38 geplant und im Bau begonnen, jedoch kriegsbedingt nicht mehr fertig gestellt. Die heutige Linienführung der A3 weicht ab dem Autobahnkreuz Nürnberg nach Südosten von der ursprünglichen Route ab. Die erste Anschlussstelle östlich vom Nürnberger Kreuz war zwischen den Gemeinden Diepersdorf und Leinburg, an der Kreuzung mit der Landstraße Lauf - Altdorf vorgesehen. Am westlichen Ortsrand von Leinburg befand sich ein Reichsautobahnlager, in dem von April bis Oktober 1940 Wolhyniendeutsche und anschließend für kurze Zeit Bessarabiendeutsche untergebracht waren. Vgl. StAN OBR Nürnberg 670. Der Bote für Nürnberg-Land 1940, Ausgaben v. 18.10., 30.10. und 12.11.1940.

5 Das Staatsarchiv Nürnberg verwahrt unter der Bestandsbezeichnung "OBR Nürnberg" u.a. das archivwürdige Material der 1934 gegründeten "Obersten Bauleitung für den Bau einer Kraftfahrbahn Schleiz - Bayreuth" mit Sitz in Nürnberg (Abkürzung: OBK Nürnberg, später OBR Nürnberg). Die Zuständigkeit erweiterte sich mit dem Baufortschritt auf die gesamte Strecke von Schleiz bis nach Ingolstadt auf der heutigen A9. Der OBK Nürnberg unterstanden die Bauabteilungen (kurz: BAK) in Saalburg (zunächst: Schleiz), Münchberg, Bayreuth, Pegnitz, Nürnberg, Hilpoltstein und Kipfenberg.

6 StAN OBR Nürnberg 1, Schreiben v. 10.09.1935 (offensichtliche Schreibfehler wurden korrigiert). 7 Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg (Anm. d. Verf.).

8 Josef Rambeck: Die Baraber vom Walchensee. Berlin 1931, S. 6.

9 StAN OBR Nürnberg 1, Schreiben v. 09.09.1935 (Kipfenberg), 07.09.1935 (Hilpoltstein) und 10.11.1935 (Bericht der OBK nach Berlin).

10 StAN OBR Nürnberg 1, Schreiben v. 06.09.1935.

11 StAN OBR Nürnberg 1, Schreiben v. 05.09.1935.

12 Josef Rambeck: Die Baraber vom Walchensee. Berlin 1931, S. 280.

13 StAN OBR Nürnberg 1, Schreiben v. 06.09.1935 aus Querenbach. (Der Text wurde in der ersten Strophe und im Refrain umgestellt. In der handschriftlichen Vorlage ist der kursiv gedruckte Schlussteil vom Haupttext abgesetzt.)

14 Gemeint sein dürfte der DELMAG-Frosch, ein Erdstampfgerät (Anm. d. Verf.)

Recherche und Text: Dr. Reinhard-Ulrich Roth, Ludwigshafen
Der Beitrag erschien im Jahrbuch der Deutschen aus Bessarabien/ Heimatkalender 2005, 56. Jahrgang, 192 -196.
Die Wiedergabe erfolgt mit freundlicher Genehmigung.

Karte Bessarabien
 
Bessarabien. Ausschnitt aus dem Blatt "Westrußland".
Quelle: Andrees, Richard, Allgemeiner Handatlas in hundertzwanzig Kartenseiten,
Geographische Anstalt von Velhagen & Klasing in Leipzig, 2. Aufl., 1890, Blatt 73.



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