ARCHIV FÜR AUTOBAHN- UND STRASSENGESCHICHTE

Asphalt, Beton & Stein | Brücken & Tunnel

BAB A4: Talbrücke über die Große Striegis (Bauwerk 56)

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Unmittelbar westlich der Anschlussstelle Berbersdorf überquert die A4-West mit einem 120 m langen Brückenbauwerk das fast 40 m tiefe Tal der Großen Striegis.

 

 

 

Bild 01: Brücke über das Tal der Großen Striegis.
Foto: Th. Haubold, 22.08.2010

Auch bei diesem Tal, genauso wie bei dem keine zwei Kilometer weiter westlich gelegenen Tal der Kleinen Striegis, prüfte die Sächsische Straßenbaudirektion das „Ausfahren“ und schlug entsprechende Varianten der GEZUVOR vor. Dies wurde jedoch abgelehnt und die ebenfalls vorgeschlagene Variante mit den Talbrücken eingehender untersucht.*

Zunächst konzentrierte man sich darauf, eine geeignete Stelle für die Errichtung einer Talbrücke zu finden.

Das Striegistal zeigt sich im infrage kommenden Bereich zwischen Pappendorf und Berbersdorf als ein breites Tal mit sanften Wald- oder Wiesenhängen, oder es verläuft in engen Schleifen mit steilen Talhängen. An einer Stelle -dem etwa 35 m hohen Rabenstein- drängt dieser anstehende Fels aus zerklüftetem Schiefer den Fluss in eine 90°-Kurve, wobei sich das Tal hier auf eine Breite von lediglich 100 m verengt. Diese Verengung sollte dazu dienen, die Autobahn mit einem möglichst kleinen Bauwerk über das Tal zu führen, ohne jedoch dabei die Erscheinung des Rabensteins oder den Blick durch das Tal zu zerstören. Nach einigen Versuchen die Brücke ohne Pfeiler zu planen, verwarf man diese Gedanken, da -egal bei welcher Brückenform- der Rabenstein in Mitleidenschaft gezogen worden wäre.
* Weitere Erläuterungen dazu folgen mit dem Beitrag zur Brücke über das Tal der Kleinen Striegis.

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Zusammengesetzte Auszüge aus den Messtischblättern 4944 „Mittweida“, 4945 „Roßwein“ und 5044 „Frankenberg“ der Landesaufnahme Sachsen, Ausgaben 1936 und 1941, ergänzt durch die rote Markierung der Brücke über das Tal der Großen Striegis.
Maßstab 1 : 25 000, © Staatsbetrieb Geobasisinformation und Vermessung Sachsen 2012
Nadel www.landesvermessung.sachsen.de.
Bearbeitung: Th. Haubold

Brückensystem und Bauausführung

Der Entwurf des Bauwerks erfolgte durch die OBR Dresden. Die Brücke wurde als zwei Teilbauwerke auf gemeinsamem, 70° zur Brückenlängsachse stehendem und damit dem Talverlauf folgendem, spitzem Pfeiler mit Sparöffnung sowie gemeinsamen Widerlagern geplant und ausgeführt. Die Überbauten sollten pro Fahrtrichtung ein eigenes Tragwerk, bestehend aus zwei durchlaufenden Stahlblechträgern erhalten. Die so entstandenen Einzelbauten wurden mit einem Koppelträger verbunden.

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Ansicht von Nordwest, Grundriss und Querschnitt. Zeichnungen entnommen aus „Zentralblatt der Bauverwaltung“ 1936,
Sammlung: Th. Haubold

Sowohl die Gründungs- als auch die Maurerarbeiten erfolgen durch die Fa. Max Gotthilf Richter & Co. Beton und Eisenbetonbau, Niederlassung Dresden. Die Lieferung und Aufstellung der Stahlbauten oblag der Mitteldeutschen Stahlwerke A.G., Lauchhammer unter Beteiligung des Eisenwerks Kelle & Hildebrandt, Dresden-Niedersedlitz.

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Bild 02a: Sommer 1936 – Die Montage des Überbaus erfolgt zwischen Widerlager 0 (WL Dresden) und dem Pfeiler auf einem Gerüst.
Foto: Gerhard Spitzner (1923 – 2001)

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Bild 02b: Sommer 1936 – Die 70m-Öffnung zwischen Pfeiler und Widerlager II (WL Meerane) wird frei vorgebaut. Das Tragwerk erreicht dabei unmittelbar vor dem WL eine Durchbiegung von 1,60 m.
Foto: Gerhard Spitzner (1923 – 2001)

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Bild 03: Die fertige Brücke auf einer Ansichtskarte des Verlags Wagler Chemnitz, entstanden ca. 1937.
Sammlung Th. Haubold

Sowohl die Widerlager als auch der Pfeiler erhielten eine Natursteinverblendung aus Theumaer Fruchtschiefer und Grünstein aus Pillmannsgrün/Vogtland in Form von unregelmäßigem Schichtmauerwerk. Die Flügelmauern der Widerlager erhielten einfaches Bruchsteinmauerwerk aus Theumaer Schiefer. Die Auflagerbank des Pfeilers wurde mit einer Rollschicht aus Theumaer Schiefer verblendet. Die Auflagerbänke der Widerlager führte man wiederum in gespitztem Sichtbeton aus. Was das Verblendmauerwerk angeht, stellt diese Brücke -neben der Lützeltalbrücke- ein Novum in dieser Region dar: Wurden doch hier im Erzgebirgsvorland die Brücken üblicherweise mit einer Verblendung aus rotem Mittweidaer oder Meißner Granit bzw. nur wenige Kilometer weiter östlich mit dem blaugrauem Lausitzer Granit versehen. Dass an dieser Stelle ein sehr gelungenes, überaus lebendig wirkendes Verblendmauerwerk aus Schiefer und Grünstein zum Einsatz kam, verdankt die Brücke der wilden Erscheinung des Rabensteins sowie dem künstlerischen Berater der OBR Dresden, Architekt Prof. Freese (Technische Hochschule Dresden).

 

Weitere Angaben zum Bauwerk:

Brückenkonstruktion:Aus zwei einzelnen Überbauten bestehende Stahlvollwandbalkenbrücke mit einem natursteinverblendeten Pfeiler und hinterfüllten Widerlagern
Fahrbahnunterbau:Buckelbleche
Brückenmaße: Länge des Überbaus: 120,0 m
Höhe über Talsohle: 43,0 m
Breite zw. den Geländern: 24,0 m
Stegblechhöhe: 3,8 m außen und 3,9 m innen
Stärke der Stegbleche: 14 mm
Höhe des Pfeilers: 34,0 m
Stützweiten: 50 + 70 m
Bauzeit: Oktober 1935 – Juni 1936 (ohne das Aufbringen der Fahrbahn)
Aufsteller des Bauwerksentwurfes: OBR Dresden
Zuständige Dienststelle
für die Bauausführung:
OBR Dresden/Bauabteilung Nossen
Tag der Inbetriebnahme: 08.05.1937
 
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DIA aus dem Jahr 1959. Fotograf: Ing. Arnold (SSUB Halle), Archiv LASuV Sachsen

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Bilder 05 und 06: 1960 – Mit einer abenteuerlich anmutenden Hängerüstung aus Flacheisen, Ketten und modifizierten Holzleitern werden die Stahlteile des Überbaus zugänglich gemacht und erhalten einen grauen Anstrich. Bis dahin zeigte sich die Brücke in einem rot-braunen Rostschutzanstrich und wurde deswegen unter den Einheimischen auch „Rote Brücke“ genannt.
Fotograf: Ing. Arnold (SSUB Halle), Archiv LASuV Sachsen

Bis auf die Anstricharbeiten im Jahre 1960, die große Rekonstruktionsmaßnahme des Streckenabschnitts Dresden – Karl-Marx-Stadt Anfang der 70er Jahre, bei der die ursprünglich auf der Brücke vorhandene Betonfahrbahn entfernt und durch eine Schwarzdecke ersetzt wurde, sowie Reparaturen an den Fahrbahnen, den Geländern und dem Mauerwerk der Widerlager, blieb die Brücke bis Mitte der 1990er Jahre in ihrer ursprünglichen Erscheinung erhalten.

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Bild 07: 1990 – Blick über die RFB Eisenach. Die Anfang der 70er Jahre aufgebrachte Schwarzdecke zeigt sich zur Wendezeit in teilweise katastrophalem Zustand, sodass die Brücke in diesen Bereichen gesperrt werden muss.
Fotograf: Ing. Arnold (SSUB Halle), Archiv LASuV Sachsen

bi8 Bild 08: Sommer 1992 – Das Dresdner Widerlager mit den Festlagern und im Bild 09 das Tragwerk der Striegisbrücke in Blickrichtung West, fotografiert vom Fotoatelier Rolf Günther, Dresden im Auftrag des Autobahnamtes Sachsen (heute LASuV Sachsen).
Archiv LASuV Sachsen

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Für diesen Streckenabschnitt relativ spät, begann im Jahr 1997 im Rahmen des sechsstreifigen Ausbaus der BAB A4 (VDE Nr. 15) der Um- und Erweiterungsbau dieser Brücke.

Auch bei diesem Bauwerk sollte vorhandene Bausubstanz möglichst erhalten bleiben und den neuen Erfordernissen, wie eine aus zwei Stahltrögen bestehende Tragwerkskonstruktion, wesentlich breiterer Regelquerschnitt der Fahrbahnen, variables Gefälle in der Gradiente und begehbare Widerlager, angepasst werden.

bi10 Bild 10: Juli 1998 – Blickrichtung Nordost.
Neben dem Bauwerk aus den Jahren 1935/36, bei dem man aus Gründen der notwendigen Baufreiheit die Auskragungen entfernen musste, wird auf einer Hilfsstütze der neue Überbau für die RFB Görlitz hergestellt.
Foto: Th. Haubold

Für die nun ca. 14 m breiteren Überbauten zeigten sich der Pfeiler und die Widerlager zu schmal, waren sie doch für einen RQ von 24 m anstatt der nun geforderten fast 38 m gebaut worden. Es machte sich erforderlich, das Dresdner Widerlager gegen ein vollständig neues zu ersetzen. Das Meeraner Widerlager konnte im Bereich der Flügelmauern erhalten bleiben, jedoch mussten diesen jeweils eine Reihe von Stützsäulen aus Stahlbeton vorgesetzt werden, um die Auskragungen aufnehmen zu können. Der Pfeiler erhielt zur Verbreiterung der Auflagerbank eine Kappe aus Stahlbeton, die in ihrer Form dem Pfeilergrundriss angepasst wurde.

Bauablauf:

  1. Abtrennen der Auskragung der RFB Görlitz zur Schaffung der Baufreiheit südlich der Brücke,
  2. Montage des werkstattmäßig vorgefertigten Stahltrogs für die neue RFB Görlitz auf einer Hilfsstütze neben dem Brückenpfeiler,
  3. Aufbringen der Betonplatte vor Ort und nach Fertigstellung die Umlegung des gesamten Verkehrs auf den neuen Überbau,
  4. Abriss der alten Überbauten aus dem Jahre 1936,
  5. Vorbereitung des Pfeilers durch Entfernen der alten Auflagerbank und ersetzten dieser durch die breitere Stahlbetonkappe, Abriss und Neubau des Dresdner Widerlagers, Umbau und Erweiterung des Meeraner Widerlagers,
  6. Montage des werkstattmäßig vorgefertigten Stahltrogs für die neue RFB Eisenach am endgültigen Ort,
  7. Aufbringen der Betonplatte und nach Fertigstellung die Umlegung des gesamten Verkehrs auf diesen Überbau,
  8. Querverschub des südlichen Überbaus von der Hilfsstütze auf den Pfeiler bzw. an die endgültigen Orte in den Widerlagern, Anschluss und Verkehrsfreigabe des Überbaus,
  9. Sanierung des alten Mauerwerks am Pfeiler und dem Meeraner Widerlager, Endreinigung.
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Grafik: Längsschnitt in Bauwerksachse aus dem Bestandsübersichtsplan zum BW56.
LASuV Sachsen

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Bild 11: Detail des Pfeilers – Im Jahre 1935 vorbildlich gestaltetes Verblendmauerwerk in den Flächen und im Bereich des Gewölbes der Sparöffnung. Darüber die nun aufgebrachte Auflagerbank aus schalungsrauem Stahlbeton und einem Übergang aus hier etwas unsensibel, weil viel zu regelmäßig eingesetztem, neuen Verblendmauerwerk. Es wäre besser gewesen, wenn man das beim Rückbau des oberen Pfeilerbereichs reichlich entfernte Mauerwerk wiederverwendet hätte.
Foto: Th. Haubold, 22.08.2010

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Bild 12: Detail des Pfeilers – Bereits kurz nach dem Bau der Brücke durch den Künstlerischen Berater der Gesellschaft Reichsautobahnen, Architekt Friedrich Tamms, als positives Beispiel erwähntes Verblendmauerwerk aus Theumaer Fruchtschiefer und Grünstein aus Pillmannsgrün/Vogtland, hier im Bereich der südlichen Pfeilerspitze.
Foto: Th. Haubold, 22.08.2010

Weitere Angaben zum neuen Bauwerk

System: einzelliger begehbarer Stahl-Hohlkasten mit Spannbeton-Fahrbahnplatte
Gesamtstützweite: 120,20 m
Gesamtbreite: 37,50 m
Brückenfläche: rd. 4730 m²
Längsgefälle: variabel zw. 4,300 und 0,991%
Zuständige Dienststelle für Planung und Bauausführung: DEGES, Berlin im Auftrag des FS Sachsen
Entwürfe: Ingenieurbüro Prof. Bechert + Partner, Stuttgart
Ausführungsplanung: Köhler + Seitz, Nürnberg
Bauausführung: Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Philipp Holzmann AG, NL Dresden / Stahlbau Lavis / Verkehrsbau-Union, NL Dresden

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Bild 13: Blick in das wild-romantische Striegistal mit Unteransicht und Pfeiler der Brücke im Weitwinkel Richtung Südwest.
Foto: Th. Haubold, 11.09.2011

Quellenverzeichnis:

ROR Ernst Weiß (OBR Dresden): „Die Reichsautobahnbrücken über die Grosse und die Kleine Striegis“ in „Zentralblatt der Bauverwaltung“ 1936, S. 1165 – 1172 (Angaben zur Örtlichkeit, Planung, Bauausführung, technische Daten, Details, mit Zeichnungen und Abbildungen)

Dr.-Ing. Werner Lindner (Fachbeauftragter des Deutschen Bundes Heimatschutz) und Architekt Friedrich Tamms (Künstlerischer Berater der Gesellschaft Reichsautobahnen): „Theumaer Schiefer“ in „Mauerwerk“ 1938, S. 80
(drei Abbildungen mit kurzen Erläuterungen)

Archiv des Landesamtes für Straßenbau und Verkehr (LASuV) Sachsen
(ehem. Autobahnamt Sachsen):

  • Behelfsmäßiges Brückenbuch zum BW56, 1956 – 1990
    (mit Prüfberichten, statischen Berechnungen, Fotos)

  • Bestandsübersichtspläne zum BW56 (detaillierte Zeichnungen mit Maßen zu allen Einzelheiten, einige technische Daten und Angaben zu Bau planenden/ausführenden Unternehmen)

Autor und Bildbearbeitung: Th. Haubold, 2012